Soya the Cow im Interview
Eine Drag-Kuh im Kampf gegen die Klima- und Biodiversitätskrise
Jana • 29.04.2022
Sicher erinnert ihr euch noch an Soyas aufregende Performance beim Clima Now Spotlight 2021. Mit uns spricht Daniel Hellmann aka Soya the Cow über seine Motivation in dieser Form aufzutreten, Ernährung im Kampf gegen den Klimawandel und die Bedeutung von Community.
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Jana: Soya ist eine queere Hybridfigur – sie bewegt sich nicht nur linear über binäre Grenzen hinaus, wie beispielsweise „Mann“ und „Frau“, sondern auch über die Grenze zwischen „Mensch“ und „Tier“ und noch mehr. Was bedeutet es für dich diese Grenzen aufzulösen und warum ist das so wichtig?
Soya: Wenn wir die Welt anschauen, gibt es unglaublich viele dieser Unterscheidungen – Mann, Frau, weiss, nicht-weiss, Rationalität und Emotionen, Kultur und Natur. Fast immer sind diese Kategorien auch untereinander verbunden. All diese binären Konzepte tragen in sich auch ein Herrschaftssystem, eine Wertung darüber, was als „normal“ gilt und was davon abweicht, was erwünscht ist und was nicht. Diese Systeme funktionieren alle ähnlich und sind häufig auch gewaltvoll für viele Menschen und Nicht-Menschen, eben die, die nicht in die erwünschte Gruppe gehören. Die Idee für mich bei Soya war eben eine Figur zu haben, die diese Grenzen sprengt, eine Figur, die sich in einem Zwischenbereich befindet. Die zeigt, dass Gender ein Spektrum ist. Was wir als Mensch-Sein empfinden und als Nicht-Mensch-Sein, oder als menschenwürdig und lebenswürdig – das sind verschiebbare Dinge. Dazu soll Soya ermutigen: zu einem spielerischen Umgang mit diesen Kategorien.
Jana: Was denkst du können wir von queeren Tieren lernen?
Soya: Ganz bestimmt eines: Lebenslust. Tiere wollen ebenfalls das Leben geniessen. Und das sieht man ihnen auch an: Wenn sie sich in der Sonne fläzen oder wenn sie rumbalgen, zum Beispiel wenn Pinguine auf dem Eis wie auf einer Rutschbahn runterrutschen oder wenn man Vögel beim Fliegen beobachtet.
Jana: Beim Blick auf die Klimakrise fällt es oft schwer, Lebenslust zu empfinden. Wie lassen sich Aktivismus und Lebenslust verbinden?
Soya: Ja, da bin ich auch als Aktivist*in im Zwist. Ich will einerseits etwas bewirken, aber andererseits mich nicht völlig instrumentalisieren. Mein Leben soll auch glücklich und freudvoll sein und nicht nur eins, wo ich mich aufopfere für meine Spezies oder meinen Planeten. Insofern ist das Anliegen von mir als queere Kuh-Aktivistin auch lebensfreudigen Aktivismus zu machen. Aktivismus, der nicht auf Beeinträchtigung funktioniert, sondern auf dem Lust-Prinzip. Und gerade bei veganem Essen ist das mega einfach!
„Wir haben einen Elephant in the room – aber es ist eigentlich eine Kuh. Wir wissen, dass wir mit unserer jetzigen Ernährung den Planeten bedrohen. Bei dem ganzen Leid und Schmerz, den es bereits gibt um uns herum, lasst uns auf Leid und Tod im Kühlschrank verzichten.“
Jana: Soyas Message ist, dass wir uns als Menschen wegbewegen sollten von unserer tierischen Ernährung und hin zu einer veganen, pflanzlichen Ernährung. Wir wissen alle, dass das besser für den Planten ist. Wieso denkst du sind Menschen dennoch zögerlich bei diesem Wandel?
Soya: In der ganzen Klima-Debatte gibt es ja sozusagen einen elephant in the room, wie man so schön sagt. Nur ist es eigentlich eine Kuh und kein Elefant. Und zwar ist es ganz deutlich, dass wir das 1,5°C-Ziel nicht erreichen werden, der IPCC hat dies gerade nochmals bestätigt (Clima Now berichtete). Selbst wenn wir ab heute damit aufhören, fossile Brennstoffe zu nutzen, führt allein die Art, wie wir uns ernähren dazu, dass wir das Ziel nicht erreichen können. In Deutschland werden beispielweise 60% der Agrarflächen für die Anpflanzung von Tierfutter genutzt, Weidefläche noch nicht eingerechnet. Und zusätzlich müssen dann noch Tonnen von Mais und Soja importiert werden. Gleichzeitig gibt es drohende Hungersnöte in anderen Teilen der Welt. Es gibt genug Nahrung auf diesem Planeten und es wird auch genug Nahrung von A nach B transportiert. Aber die Logistik ist nicht dafür gemacht, dass alle Menschen davon etwas abbekommen. Sondern sie ist dafür gemacht, dass wir Tiere in horrenden Massen halten und mästen, sie dann schlachten und zu Wurst oder Ähnlichem verarbeiten. Mit einer Ernährungswende, mit einem neuen nachhaltigen Agrarsystem, das auf pflanzlicher Ernährung beruht, könnten wir so viel Fläche frei machen für Nahrungsanbau oder Wiederbewaldung.
Jana: Ist das die Lösung für den Klimawandel? Wir werden morgen alle Veganer?
Soya: Nein, so einfach ist es natürlich auch nicht. Aber wir haben so viel Handlungsspielraum beim Essen. Und wir können so vieles auch sehr schnell angehen. Beispielsweise können wir Subventionen verschieben, das wäre so wichtig.
Jana: Kann man denn sagen, dass vegane Ernährung das new normal werden muss?
Soya: Oder zumindest eine möglichst pflanzliche Ernährung. Ich bin mir bewusst, dass dieser Übergang jetzt nicht von einem auf den anderen Tag passieren wird. Aber die Bemühungen einmal am Tag oder einmal in der Woche auf Fleisch zu verzichten, das ist einfach zu schwach. Wir haben eine ernsthafte Krise. Und wenn wir das Gefühl haben, wir können einfach so weiterleben wie bisher und nichts ändern, dann werden wir nicht weiterkommen. Wir müssen uns verändern. Wir sehen das auch durch den Krieg in der Ukraine und die Abhängigkeit von ukrainischem Weizen und Mais (Clima Now berichtete).
Jana: Du kommst selbst auch aus dem Kulturbetrieb, Soya singt, du warst aber auch am Theater. Was macht deiner Meinung nach Kunst und Kultur zu einer besonders guten Darstellungsfläche für Klimathemen?
Soya: Ich habe gemerkt, es ist mein Mittel. Wichtig ist, dass engagierte Menschen aus allen Lebensbereichen zusammenkommen und sich engagieren. In der Erziehung, in den Medien, Wissenschaft, Care-Arbeit, Politik und Aktivismus und noch viel mehr. Und überall kann man sein Ding möglichst ethisch korrekt durchsetzen. Musik zum Beispiel hat mich schon immer begleitet. Was mich daran so fasziniert ist, dass Musik eine Öffnung, eine Art Verletzlichkeit, schaffen kann. Und zwar auch dort, wo vorher keine Offenheit war.
Jana: Aktivismus und Community – das sind seit Beginn zentrale Elemente im Drag. Was bedeutet Community für dich?
Soya: Ich glaube Community ist letztlich das A und O, wie wir überhaupt etwas machen können im Leben. Wir stecken alle in Interdependenzen und Abhängigkeit. Allein schafft man es nicht – wir brauchen andere Menschen, andere Pflanzen und andere Tiere, sonst können wir überhaupt nichts machen. Das wird uns als Menschen gerade schmerzlich bewusst: Wenn wir alles andere kaputt machen, bleibt auch für uns nichts übrig. Community erzeugt Zugehörigkeit und hilft uns in diesem Chaos von Welt zurecht zu finden und Gleichgesinnte zu finden, mit denen wir etwas aufbauen können. Ich bin in verschiedenen Communities unterwegs und ich denke gerade die Community der Menschen, die sich einsetzen im Kampf gegen die Klima- und Biodiversitätskrise ist vielleicht besonders, da sie oft unsichtbar ist und dann aber beispielweise bei Demos sichtbar wird. Ich glaube Sichtbarkeit ist unglaublich wichtig.
Jana: Wie kann es deiner Meinung nach gelingen, noch mehr Leute einzuladen, sich gegen den Klimawandel einzusetzen?
Soya: Ich glaube es ist wichtig zuzuhören, vor allem denen, die vom Klimawandel betroffen sind. Wir merken selbst die Auswirkungen hier im globalen Norden. Aber es ist wichtig auch Menschen beispielsweise in Afrika zuzuhören, die erklären, was es bedeutet, wenn wochenlang der Regen ausbleibt. Das hat existenzielle Auswirkungen. Durch Zuhören, in Kontakt und in Begegnung treten, dadurch lernen wir. Und es macht uns die Tragweite und Tragik bewusst. Wir müssen verschiedenen Formen von Engagement zeigen, wie wir etwas gegen den Klimawandel tun und uns organisieren können. Manche Menschen können gut mobilisieren, manche schreiben, andere können gut ins Gespräch gehen oder organisieren, kochen oder aufräumen. Es gibt so viele verschiedene Fähigkeiten, die in diesem Kampf wichtig sind. Und das schafft Raum für alle, sich sinnvoll einzubringen.
Mehr über Daniel Hellmann
Daniel Hellmann vereint Veganismus und Aktivismus in Form von Soya the Cow, einer queeren Drag-Kuh. Diese Darstellungsform bietet Raum dafür, mehr als nur eine binäre Grenze zu öffnen und auf eine ganz eigene Art und Weise auf die Klima- und Biodiversitätskrise aufmerksam zu machen.
Daniels Projekt Tasty Future
Mit dem Projekt Tasty Future will Daniel Kulturbetriebe dabei unterstützen, ihre Gastronomie auf ein veganes Angebot umzustellen. So kann der Kulturbetrieb sein Symbolwirkung nutzen und über das Angebot der Institutionen individuelle Gewohnheiten verändern.
