Reto Knutti: Eine engagierte Bevölkerung kann viel erreichen

Reto Knutti ist einer der renommiertesten Klimaforscher der Schweiz. Im Interview mit Clima Now spricht er darüber, dass Wissenschaft, Politik und Bevölkerung die Klimakrise nur gemeinsam angehen können - und wie das gelingen kann.

Clima Now   •   25.11.2022

Klimaforscher Reto Knutti mit Martin Meile, Stiftungsratspräsident Clima Now bei einem Klimaevent in Gstaad

Herr Knutti, warum brauchen wir Netto Null? 

Wenn wir die Klimaziele von Paris erreichen wollen und deutlich unter 2 Grad Erderwärmung bis Ende des Jahrhunderts bleiben wollen, müssen die Emissionen auf Netto Null. Das heisst, wir müssen reduzieren, was wir können. Und wo es nicht anders geht, müssen wir versuchen, das CO2 entsprechend wieder aus der Atmosphäre zu entfernen. Das ist unsere einzige Möglichkeit.

Das Netto Null Ziel gilt global, welche Rolle kann die Schweiz dabei spielen? 

Genau, das Ziel gilt global. Der ganze Planet muss am Schluss das Netto Null Ziel erreichen. Wie man das auf Länderebene herunterbricht, ist gar nicht so einfach. Die Länder haben unterschiedliche Grundvoraussetzungen und Leistungsmöglichkeiten. Da geht es dann um die sogenannte gemeinsame, aber differenzierte Verantwortung und Lastenverteilung. Und da kommen schwierige und zum Teil ethische Wertfragen zum Tragen. Fakt ist: Jedes Land muss seinen Beitrag leisten. Und die Länder, die über mehr Geld, gut ausgebildete Menschen und Technologien verfügen, müssen mehr leisten als die, die diese Dinge nicht zur Verfügung haben. Und dazu gehört eben auch die Schweiz.

Nichtstun können wir uns nicht mehr leisten. Es gibt viel zu tun, sehr viel sogar. Stehen für all diese Aufgaben denn bereits Lösungen zur Verfügung, ob analog oder technologisch? 

Es gibt viele Lösungsmöglichkeiten und es war noch nie so einfach wie heute. Beispiel Gebäudesektor: ein Gebäude braucht heute keine Ölheizung mehr, da gibt es andere Wege. In der Mobilität kann auf Autos verzichtet werden, oder man setzt auf E-Autos. Es gibt aber auch noch harte Nüsse zu knacken, beispielsweise in der Landwirtschaft, beim Flugzeugtreibstoff oder im Fall von Zement. Aber man könnte problemlos schon die Hälfte oder sogar ¾ von dem, was getan werden muss, bereits heute tun. Und wir werden diese Lösungen über die nächsten 20, 30 Jahre weiterentwickeln. Ich glaube noch kein grosses Problem wurde von heute auf morgen gelöst. Man entwickelt, macht Fehler, lernt und verbessert sich und den Plan. Gerade in der Technologie konnte man oft beobachten – bei Photovoltaik, Batterien, Kommunikationslösungen -, dass, sobald eine Technologie die Masse erreicht hat, sie unglaublich schnell besser und effizienter wurde. Wichtiger als die Frage der technologischen Machbarkeit ist aber die Frage nach politischem und gesellschaftlichem Willen. Und da stehen wir uns im Moment noch selbst im Weg.

Was sind da momentan die grössten Herausforderungen? 

Es gibt eine Reihe von Herausforderungen.

  1. Zum einen sind wir in einer Medien- und Informationskrise. Wir haben kein Geld, um sachlich gute Informationen aufzubereiten. Stichwort Fake News, zu wenig Überprüfung von falschen Aussagen, die dann verbreitet werden. Zudem wird die Aufmerksamkeitsspanne der Menschen durch die sozialen Medien immer geringer. Kaum jemand setzt sich noch eine halbe Stunde dezidiert mit einem Text auseinander in Zeiten von TikTok. Allerdings ist es so: Wenn die Menschen nicht informiert sind, sind sie auch nicht fähig an einem demokratischen Entscheidungsprozess teilzunehmen.
  2. Zum anderen haben wir natürlich über die letzten 50 bis 100 Jahre ein fossiles System aufgebaut, in dem gewisse Menschen und Konzerne viel Geld verdienen. Da geht es um sehr viel Geld, Macht, Lobbyismus und Subventionen. Aus diesem System auszubrechen ist schwierig.
  3. Als dritten Punkt haben wir die Frage nach Werten und Prioritäten. Es ist leider nicht so, dass Fakten alleine ausreichend sind, um das Richtige zu tun. Da spielen auch Prioritäten und Eigeninteressen eine Rolle.

In Anbetracht der komplexen Klimakrise kann man sich leicht machtlos und traurig fühlen. Haben Sie Tipps für unsere Community, die es leichter machen mit der Klimakrise umzugehen? 

Eco Anxiety ist real. Ich versuche es als Naturwissenschaftler ein wenig zu abstrahieren. Ich glaube, ansonsten wäre ich wahnsinnig geworden. Ich versuche das in meinem täglichen Leben als wissenschaftlich-technisches Problem anzuschauen, das ich lösen muss und versuche die anderen Aspekte auszublenden, wahrscheinlich aus Selbstschutz. Aber es gibt auch Situationen, in denen ich mich überfordert fühle. Dann hilft es, mit anderen Leuten darüber zu sprechen, die auch einen Unterschied machen wollen.

Klima ist nur eines von vielen Problemen, das wir haben. Die ganze Frage von Diversität und Gleichberechtigung, Fragen von Armut. Es gelingt uns in vielen Aspekten der Gesellschaft nicht umzusetzen, was wir gerne hätten. Trotzdem müssen wir immer wieder und wiederdaran arbeiten. Wir haben Jahrzehnte gekämpft für die Ehe für alle und viele Volksabstimmungen verloren und trotzdem gab es immer wieder Leute, die gesagt haben, dann eben nochmals. Und schrittweise geht etwas.

Was wären Ihrer Meinung nach die drei wichtigsten Forderungen an die Politik? 

Meine Forderungen wären: Keine fossilen Energien mehr, ein Preis auf dem CO2 und die Förderung von Technologien, die CO2 aus der Atmosphäre entfernen. Und da braucht es griffige, langfristige und vorausschauende Klimapolitik. Ziele festzusetzen ist noch der einfache Part – die konkrete Umsetzung und der Weg, wie wir diese Ziele erreichen können, das ist die schwierige Diskussion.

Wir wollen bei Clima Now mindestens 100‘000 Menschen erreichen. Wenn Sie jetzt 100‘000 Menschen vor sich hätten und dürften sich von diesen Menschen etwas wünschen, was diese in Bezug auf das Klima ab morgen machen würden – was wäre das? 

Jede und jeder kann in seinem täglichen Leben ganz Vieles entscheiden und viele Veränderungen machen. Aber ich glaube das ist eigentlich der kleinere Teil. Man ist oft versucht das Problem auf eine Summe von Einzelentscheidungen von Individuen zurückzuführen. Stichwort CO2-Fussabdruck: ein Konzept, das von der Öl- und Gastindustrie forciert und geframed wurde. Das war Kalkül, dieses Problem auf den Konsumenten zu verlegen. Der Konsument entscheidet, ob er die Produkte, die die Öl- und Gasindustrie anbieten, wählt oder nicht. Das ist gefährlich. Denn der Konsument ist natürlich in manchen Entscheidungen frei, aber in vielen eben nicht. Er ist in einem System gefangen, in dem es häufig keine Alternativen gibt. Und es ist sehr schwierig aus diesem System auszubrechen.

Die Vergangenheit zeigt: Noch kein Problem dieser Tragweite wurde gelöst, indem auf die Eigenverantwortung gesetzt wurde – Von Abfall, zum Abwasser, zur Luftqualität, Pestiziden oder Pandemie. Man hat irgendwann Lösungen formuliert und diese gesetzlich festgesetzt. Man darf heute kein Haus mehr bauen, ohne, dass das Abwasser am richtigen Ort durchgeht – ob man will oder nicht. Man muss das tun. Und das ist auch richtig so. Wir leben in einer Gesellschaft, in der es ohne diese Normen gar nicht anders geht. Und wir lösen dieses Problem nur, wenn es gewisse Rahmenbedingungen gibt. Und ich sage Rahmenbedingungen, weil das viele Formen haben kann: Subvention, Lenkungsabgaben, Steuer oder Verbote. Es gibt verschiedene politische Massnahmen, die in unterschiedlichen Bereichen unterschiedlich wirken. Da ist es Aufgabe der Politik das auszuloten. Aber es braucht diesen Rahmen. Ohne ihn wird uns nicht gelingen das Klima-Problem zu lösen.

Was wäre demnach Ihre Botschaft an unsere Community? 

Das Entscheidendste, was wir tun können ist , andere zu motivieren und mitzunehmen. Dass aus diesen 100‘000 Menschen irgendwann 200‘000 werden, dann 1 Millionen und dann irgendwann mehr als die Hälfte der Bevölkerung, damit wir Volksabstimmungen gewinnen können.

Lange Rede kurzer Sinn: Get out there, sprecht mit Leuten. Wenn jeder 2,3 Menschen überzeugt und das Telefon in die Hand nimmt und Volksvertreter*innen anruft, kann das vieles bewirken. Man muss das Communit- Building sehr ernst nehmen, damit wir diesen Multiplikationsfaktor haben. Die Wissenschaft liefert die Grundlagen, auf denen die Bevölkerung aufbauen kann. Eine engagierte Bevölkerung kann viel erreichen, viel mehr als die Wissenschaft allein leisten kann.