Prof. Dr. Christine Brombach : Das müssen wir tun, um den FOODprint der Schweiz zu reduzieren

Christine Brombach ist Dozentin an der ZHAW und eine der führenden Stimmen zu Ernährung im deutschsprachigen Raum. Zudem ist sie Mitglied der Jury beim Clima Now Spotlight 2023 und spricht mit uns im Interview über die besonderen Herausforderungen, denen die Schweiz beim Thema Ernährung gegenüber steht, und wie sie gemeistert werden können.

Clima Now   •   22.06.2023

Welche Aufgaben kommen auf die Schweiz zu, wenn es darum geht, den FOODprint zu reduzieren?

Die Schweiz hat zwei Voraussetzungen, die ihre Situation zu einer besonderen machen: Zum einen die topografische Situation. Viele Flächen im alpinen Raum können lediglich als Weidefläche genutzt werden. Daher muss die Schweiz knapp die Hälfte ihrer Lebensmittel importieren.
Der zweite grosse Aspekt ist, dass die Schweiz mehrsprachig und damit auch von ihrer Esskultur unterschiedlich gestaltet ist. Unterschiedliche Muster in der Ernährung haben unterschiedliche Auswirkungen auf den FOODprint der Schweiz.

Aus diesen besonderen Faktoren leiten sich spezielle Herausforderungen ab, wenn es darum geht, den FOODprint der Schweiz zu reduzieren. Diese laufen auf verschiedenen Ebenen ab: der Ebene der politischen Rahmenbedingungen und der Ebene der individuellen Konsument*innen-entscheidungen. Die politischen Rahmenbedingungen sind an einen demokratischen Prozess geknüpft. Änderungen können hier sehr effektiv sein, das hat Corona in vielen Ländern gezeigt. In der Schweiz ist es absolut nicht opportun, dass der Staat in die Ernährung eingreift – obwohl es sehr wohl eine Ernährungsstrategie für die Schweiz gibt. Nichtsdestotrotz ist der Staat hier gefordert. Viele Wissenschaftler*innen sind sich darin einig, dass entsprechende Vorgaben für Agrifoodsysteme hilfreich wären. Und wir wissen: wenn die Rahmenbedingungen sich ändern, folgt darauf die Änderung des Verhaltens.

Da komme ich auf den zweiten Fokus, die individuellen Konsument*innen-entscheidungen. Wenn alle knapp 10 Millionen Schweizer*innen ihre Ernährung verändern, dann hat das einen Impact auf das gesamte System. Aber es ist sehr schwer das zu verändern. Informationen allein reichen bei Weitem nicht aus. Die Ernährung ist in unser erlerntes und gewohntes Verhalten integriert, das heisst man muss einen sehr vielschichtigen Ansatz wählen.

Was beinhaltet ein vielschichtiger Ansatz, der Menschen dazu bewegen ihr Verhalten zu ändern?

Verhaltensänderung besteht wissenschaftlich betrachtet aus drei Ebenen

  1. Motivation
    Für die Menschen in der Schweiz könnte es beispielsweise eine Motivation sein, den alpinen Raum zu schützen
  2. Möglichkeiten
    Menschen brauchen Umstände, unter denen es ihnen möglich ist, sich klimafreundlicher zu ernähren
  3. Fähigkeiten
    Nicht zuletzt muss man den Menschen praktische Fähigkeiten vermitteln, das geänderte Verhalten umzusetzen

    Mir ist es sehr wichtig die Fähigkeiten der Menschen zu fördern, eigenständig ihre Verhaltensweisen zu verändern. Beispiel tierische Produkte: diese haben einen immensen Einfluss auf unser Klima. Es geht dabei nicht um eine vegane oder vegetarische Schweiz, sondern es geht darum, dass der jetzige Konsum von tierischen Produkten viel zu hoch ist und reduziert werden muss. Um eine Ernährungsweise umzusetzen, brauche ich Verständnis, Motivation und Wissen. Ich muss auch wissen, wie ich eine klimafreundliche Ernährung umsetzen kann, die Genuss bringt, die Gesundheit und den Planeten fördert.

    Wie kann man als Individuum oder Organisation dazu beitragen, Menschen zu einer klimapositiven Ernährung zu bewegen?

    Wir machen immer noch den Fehler in der Kommunikation, dass wir denken „one Size fits all“. Und das sehe ich als die grosse Herausforderung: Es kann nur gelingen, wenn wir die Menschen zielgruppenspezifisch ansprechen. Wir können nicht Gen Z so ansprechen wie Menschen im Alter zwischen 70 und 90 – und selbst in dieser Gruppe müssen wir differenzieren und verschiedene Kanäle wählen. Nur dann können wir hoffen, dass die Kommunikation gelingt.

    Ob das dann am Ende tatsächlich zu einer Verhaltensveränderung führen wird, das steht auf einem anderen Blatt. Denn „gehört“ ist noch nicht „verstanden“ und „verstanden“ ist noch nicht „einverstanden“ und „einverstanden“ ist noch nicht „umgesetzt“ und „umgesetzt“ ist noch nicht „beibehalten“ – und darum geht es, ums „Beibehalten“. Das ist unsere grosse Herausforderung.

    Wir suchen beim Clima Now Spotlight auch technologische Lösungen, die es den Konsument*innen leichter machen, sich klimapositiv zu verhalten. Welche Ansätze gibt es bereits? Wovon würden Sie gerne mehr sehen?

    Es passiert bereits sehr viel im Bereich der Technologie. Beispielsweise im Circular Farming , oder im Precise Farmings . Es gibt aber auch im Bereich der Energienutzung viele spannende Herausforderungen und Fragen, zum Beispiel dass man Solarpanel in der Landwirtschaft so einsetzt, dass Pflanzenwachstum darunter möglich ist (Agri-Photovoltaik). Eine zwei- und mehrfach Nutzung der Flächen bietet sich auch hier in der Schweiz an. Die Digitalisierung als solche kann dabei helfen Distributionsverfahren zu vereinfachen und mehr Transparenz für die Konsument*innen zu schaffen. Intelligente Verpackungssysteme können bessere Aussagen über Haltbarkeit von Lebensmitteln treffen und Apps können mir helfen mich zu vernetzen und mein Verhalten zu monitoren.
    Ich sehe die technologischen Lösungen allerdings als ein zweischneidiges Schwert: Wir schaffen Probleme durch Technologie und versuchen sie technologisch wieder zu beheben, was so nicht immer funktioniert. Ein Beispiel dafür sind hochverarbeitete Produkte, sogenannte ultraprozessierte Lebensmittel. Wir wissen, dass ihre Herstellung Energie benötigt und Abfall erzeugt und, dass teilweise Nährstoffe bei dem Verarbeitungsprozess verloren gehen. Auch Fleisch- und Milchalternativen sind hochverarbeitete Produkte. Auch hier gibt es noch viele Fragen, wie beispielsweise nach dem Trade-Off für Nachhaltigkeit. Das sind Fragen, auf die müssen wir eingehen und Antworten finden.

    Was können wir konkret heute tun, um den FOODprint der Schweiz zu minimieren?

    Momentan sehe ich den wichtigsten Weg in der Bildung, und zwar nicht nur in der Grundschule oder Kita, sondern auch im Primar- und Sekundärbereich, bzw. im Tertiärbereich und in der Erwachsenenbildung: im lifelong Learning. Es braucht Bildung, es braucht aber auch die politischen Rahmenbedingungen dazu. Es gibt bereits heute viele spannende Strategien einzelner Kommunen, dort muss man andocken. Ich sehe allerdings noch viele Möglichkeiten, diese Aktionen noch besser zu koordinieren, um sich auszutauschen, was es da an Ideen gibt, was funktioniert oder was eher nicht. Es wäre wichtig, dass alle in die gleiche Richtung ziehen – und da ist noch Luft nach oben.

    Mit dem Clima Now Spotlight 2023 sprechen wir gezielt junge Menschen im Alter zwischen 18 und 35 an. Was ist ihre Message an diese Gruppe?

    Im Prinzip ist es ganz simpel: Wir verändern jetzt unser morgen. Und das bedeutet JETZT was tun.

    Worauf freuen sie sich am meisten beim Spotlight?

    Ich freue mich auf spannende Projekte, auf junge Menschen, die engagiert sind, auf Menschen, die was tun wollen, die einen Impact generieren wollen, ich freue mich auf die Vielfalt und ich freue mich auf die Kreativität, die dort gebündelt zutage kommen wird.