Kunst und Klima, Klima und Kunst – ein Gespräch
Unter dem Motto „Rethinking the impact of art - Climate Artivists wanted” findet dieses Jahr das der Spotlight Wettbewerb von Clima Now statt. Die Wirkung der Kunst auf das Klima – und auch die des Klimas auf die Kunst – ist allerdings weitaus komplexer, als dass es sich auf eine Überschrift verknappen lässt. Mit den beiden Kunstschaffenden Hayat Erdoğan und Dorothea Strauss sprechen wir über die verschiedenen Dimensionen der Wechselwirkung zwischen Kunst und Klima.
Jana • 01.09.2022
Clima Now: Was bedeutet für euch „Rethinking the impact of Art”?
Hayat: Ich habe das Gefühl dass diese Frage eigentlich nach Zukunftsfähigkeit, nach Relevanz, nach Wirkfähigkeit, nach Bedeutung, nach Effekten in Bezug auf das Kunstfeld im weiteren Sinne fragt. Wie können wir uns als Kunstschaffende in einer Welt positionieren und uns zu dieser Welt so verhalten, dass wir in ihr etwas zu einem Besseren hin verändern können? Diese Fragen tauchen ja immer wieder auf. Deswegen glaube ich gar nicht unbedingt, dass es eine Frage ist von „Rethinking“ sondern eher eine Frage vom „Immer-weiter-denken“. Es ist eine Frage, auf die man nicht die eine Antwort immer wieder geben kann. Sie steht immer auch in grösseren Kontexten und Zusammenhängen. Und ich habe das Gefühl, dass bei dieser Frage auch ein relativ alter oppositioneller Streit mit drinsteckt. Und zwar der Streit um den Grad des Utilitarismus in der Kunst. Ich finde dabei, dass es nicht ein Entweder/Oder ist, sondern ein Miteinander. Das ist auch die Besonderheit der Kunst, dass sie verschiedene Positionen miteinander vereinen kann.
Dorothea: Unbedingt! Ich finde, wenn wir über Klima sprechen, müssen wir auch über Veränderung sprechen. Es geht darum, wie wir leben möchten. Also nicht nur „Rethinking the Impact of Art“, sondern „Rethinking how we live in the World”. Und da gibt es ganz unterschiedliche Herangehensweisen. Und das ist auch das Interessante: Wir haben da keine Checkliste, die wir abhaken können. Sondern wir können, sollen und wollen ganz unterschiedliche Kräfte zusammenbringen, die es dann gilt zu moderieren. Wir brauchen da „negative capability“, also die Fähigkeit, Unsicherheit auszuhalten und als produktive Kraft zu begreifen. Ich glaube, genau da fängt es an, dass wir mit Kulturschaffenden aller Coleur, aber auch mit vielen anderen zusammenarbeiten können. Es geht auch ums Weiterdenken: Denn es ist verführerisch eine schöne Ausstellung zum Klima zu machen. Und am Ende fährt man nach Hause und nichts hat sich verändert. Das heisst, wie können wir einen Veränderungsmodus antreiben und die Veränderungsqualität erhöhen? Und dieser Prozess ist nicht in ein paar Wochen zu bewältigen. Es braucht Kontinuität, langen Atem, Verbindlichkeit und vor allem Zeit.
Hayat: Da stimme ich voll und ganz zu. Es hat eben mit einem langen Atem, einer anderen Art von Dauer zu tun. Es geht nicht darum, irgendetwas zu tun, weil der Zeitgeist es eben verlangt. Ich meine 2019 war popkulturell betrachtet das Jahr schlechthin für den Klima-Aktivismus. Künstler*innen wie Billie Eilish und Coldplay haben sich auf ihren Tourneen für den Umweltschutz einsetzen wollen. Und ich möchte jetzt nicht aus der Position der Unterstellung sprechen und sagen, das sind Marketing-Tricks, um sich als relevante Künstler*in an den Zeitgeist anzudocken. Aber diese Dinge passieren natürlich auch, wenn die grossen Zusammenhänge reduziert werden im green, ethical, emotional Marketing. Und das bedeutet eben nicht nur, dass man das Thema in einem künstlerischen Projekt aufgreift, ob das nun aktivistisch angehaucht ist oder nicht, ob es eine Dystopie andeutet oder eine Utopie. Es geht auch um die Produktionsbedingungen dahinter. Wie ist der Betrieb aufgebaut, wie ist seine Klima- und Ökobilanz. Gibt es dort Verbesserungsbedarf? Wie können wir das, was wir auf Bühnen propagieren auch in den Schaffensprozess integrieren?
Dorothea: Das Thema Kunst und Klima ist eigentlich schon sehr lange auf dem Radar, schon Jahrzehnte. Jetzt fängt es an wirklich ein Marketingeffekt zu werden. Dadurch hat es die Kraft in alle Haushalte zu kommen, unter jedes Dach. Gleichzeitig beobachte ich eine andere Richtung: Dass Klima und Nachhaltigkeit teilweise als Killer-Argument gegen Kultur verwendet wird. Und das bedeutet, wir müssen uns auszutauschen und besprechen. Dann stellen sich Fragen wie: Müssen wir Produktionen machen, die vielleicht nicht nachhaltig sind, aber ein Thema vorantreiben? Gewisse Themen sind wichtig, damit man eine Diskussion führen kann. Und dort müssen wir dann als Kunstschaffende ein neues Argumentarium erstellen. Wir haben an vielen Punkten sogenannte Double-Bind-Situationen und ich finde es enorm spannend an diesen Punkten genau jetzt zu arbeiten. Daher bin ich auch eine grosse Befürworterin transdisziplinärer Gruppen und der Vermischung von Perspektiven.
Hayat: Ja, man fragt sich dann auch, was soll die Perspektive sein. Dass man nun nur noch mit lokalen Künstlern arbeitet? Das wäre die absolute Pervertierung eines Provinzialismus. Aber was macht man? Arbeitet man nur noch mit Leuten zusammen, die mit dem Zug anreisen können? Dann fallen schon viele potenzielle Kollaborateur*innen weg, mit denen man vielleicht gerne zusammenarbeiten würde. Denen man gerne vielleicht eine Bühne geben möchte, die vielleicht ihre Arbeit in anderen Kontexten präsentieren möchten. Das wäre auch fatal. Denn genau das kann die Kunst auch: andere Geschichte erzählen, andere Epistemologien heranführen, andere Narrative heranführen. Dort, wo bestimmte Dinge überhaupt erst entstehen können, wenn sich Menschen aus unterschiedlichen Kontexten und Arten des Geschichten-Erzählens oder Visualisierens begegnen.
Dorothea: Der Mensch verändert sich nicht einfach so. Es braucht ganz besondere Impulse, um sich zu verändern und etwas weiterzuentwickeln. Dort gilt es die Frage zu stellen: Welche Rolle kann die Kunst hier einnehmen? Und nicht nur den pädagogischen Weg zu gehen und zu sagen „wir zeigen euch wie es geht“. Sondern einem Sozietätsgedanken folgend zu sagen „wir alle wissen nicht genau, wie es geht. Lasst uns diesen Weg zusammen angehen“. Auch das wäre für mich „Rethinking“.
Hayat: Genau. Nur, wenn ich als Individuum auf irgendeine Art und Weise berührt werde, bewege ich mich. Und da kann ich mir noch so viele mahnmalartige riesige Installationen anschauen – so lang das Ganze mich nicht berührt, holt es mich nicht ab. Dann kann ich es nur affirmativ abnicken und sagen: ja, das weiss ich. Es gilt die Menschen zu berühren.
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