Krieg in der Ukraine – was bedeutet das für unsere Versorgungssicherheit?
Der Krieg inmitten Europas löst Fassungslosigkeit, Wut und Angst aus – und führt zu gravierenden Auswirkungen auf die globale Nahrungsmittelversorgung. #StandwithUrkaine
Jana • 01.04.2022
Die Ukraine gilt als grosser Exporteur von Sonnenblumen, Mais und Raps als die Kornkammer Europas. Auch Russland exportiert sehr viel, unter anderem Weizen. Insgesamt könnten durch den Krieg 35 Millionen Tonnen des Getreides wegfallen (1) – Versorgungsengpässe und zerstörte Transportwege (beispielsweise der Hafen von Odessa) beeinflussen die Preise auf einem globalen Level bereits heute.
Katastrophe auf einer Katastrophe
Letztendlich werden wir es merken, wenn wir womöglich bald in den leeren Supermarktregalen vergeblich nach als selbstverständlich erachteten Produkten suchen, oder das Portemonnaie an der Kasse etwas weiter als gewohnt geöffnet werden muss. Für Länder in Afrika und Asien sieht es allerdings sehr viel verheerender aus, denn dort kann es bedingt durch den Engpass bei Nahrungsmittelexporten zu großen Hungersnöten kommen. David Beasly, der Exekutivdirektor des UN-Welternährungsprogramms, spricht von „einer Katastrophe auf einer Katastrophe“ (2). Historisch belegt folgen auf Hungersnöte häufig politische Unruhen. In ohnehin schon unstabilen politischen Systemen wie bspw. in Syrien kann dies zu Aufständen führen. Im Irak und in der Türkei protestierten bereits viele Menschen gegen die steigenden Lebensmittelpreise (3). Jedoch am härtesten wird die Lebensmittelknappheit die Ukraine selbst treffen.
Exportabhängigkeit
Wie auch von Clima Now schon im Blog thematisiert steigen auch die Energiepreise durch den fehlenden Export von fossilen Energien aus Russland. Das hat wiederum auch Auswirkungen auf die Produktion nahezu aller Lebensmittel in Westeuropa, auch auf Tierfutter. Das betrifft landwirtschaftliche Produzent*innen stark. So ist die Zufuhr mit Eiweissfuttermitteln bereits erschwert. „Deutschland und die Schweiz sind auf Lieferung von Futter aus anderen Staaten angewiesen. Diese Importe sind momentan extrem verknappt und verteuert, da auch hier die Ukraine ein grosser Produzent ist“, so Pascal Kersten vom Bauern- und Winzerverband Rheinland-Nassau e.V. Für Landwirte ist besonders der rapide Preisanstieg für Stickstoffdünger alarmierend. „Pflanzenbautechnische Einschränkungen durch die Düngeverordnung sind derzeit unverantwortlich. Eine befristete Aussetzung sollte in Betracht gezogen werden, um verantwortungsvoll auf die Weltgeschehnisse zu reagieren“, so Kersten.
Petrissa Eckle vom HofLabor, einem von Clima Now geförderten Projekt, das Digitalisierung und neue Ansätze für eine regenerative Bodenbewirtschaftung verbindet, schlägt einen anderen Weg vor: „In der Tat steigen die Input-Kosten für chemisch synthetisierten Stickstoff, da Erdgas der wichtigste Kostentreiber in der Produktion ist. In unserem Modell, bei dem wir vor allem lokales organisches Material verwenden, um das Bodenleben zu ernähren, fällt diese Abhängigkeit weg“.
Autarkie erreichen
Doch wie erreichen wir mehr Unabhängigkeit von Exporten und gewährleisten die Versorgungssicherheit auch in Zukunft? Die landwirtschaftliche Produktion in den eigenen Ländern sollte auf resiliente Art und Weise gefördert werden. Einerseits sollten die Bedingungen für Produzent*innen erleichtert werden, beispielsweise durch Steuerentlastungen bei den von Bäuer*innen betriebenen Biogasanlagen, wie Pascal Kersten fordert. Aber auch unsere Ökosysteme brauchen Unterstützung. „Wir brauchen leistungsfähige Ökosysteme und müssen sie entstehen lassen durch Bodenregeneration, besseres Wassermanagement, Förderung von Biodiversität und Anpassungen der Rahmenbedingungen, die die wirtschaftlichen Treiber bestimmen“, so Petrissa Eckli vom HofLabor.
Globale Ansätze zur Versorgungssicherheit
Es gibt aber auch Möglichkeiten jenseits nationaler Grenzen die globale Versorgungssicherheit neu zu denken und drohende Versorgungslücken zu schliessen – bei guten Ernten können weitere Länder wie beispielsweise Australien mehr Weizen exportieren. Zudem ist es wichtig, dass weniger Weizen in Tierfuttertrögen landet. Ein Verzicht auf tierische Lebensmittel kann hier wichtige Zeichen setzen. Eine andere Möglichkeit wäre die Reduktion der Verwendung von Getreide in der Biokraftstoffproduktion – was im Hinblick auf die Energie- und Kraftstoffkrise allerdings als bedenklich einzuschätzen ist.
Neben der Sicherung der eigenen Versorgung ist es wichtig, dass die Industrieländer gegenüber ärmeren Ländern solidarisch auftreten (4). Wirkliche globale Resilienz und Verhinderung weiterer Kriege erzeugen wir nur durch ganzheitliche Ansätze und systemische Verbesserungen beim Thema Ernährung. Ein reflexartiges Streben nach Autarkie darf auf keinen Fall zulasten unserer Ökosysteme und des Friedens stattfinden.
Quellen
(1) DLF
(2) BR
(3) GEO
(4) Germanwatch