Die KlimaSeniorinnen: «Klimaschutz ist Menschenrecht»

Die KlimaSeniorinnen Schweiz kämpfen für eine lebenswerte Schweiz, weil Klimaschutz ein Menschenrecht ist und unsere Staaten mehr dafür tun müssen. Deshalb verklagen sie die Schweiz – und das bis zur obersten Instanz, wenn es sein muss.

Claudia   •   09.12.2022

Elisabeth, du bist im Vorstand der KlimaSeniorinnen. Warum habt ihr den Verein gegründet?

Die Schweiz hat es versäumt, Klimaziele festzulegen, die dem internationalen Klimarecht und den wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen. Wir fordern, dass der Staat dem endlich nachgeht und Klimaschutz zum Wohl der Bevölkerung priorisiert.

Der Verein KlimaSeniorinnen Schweiz wurde von 450 pensionierten Frauen gegründet, die im Herbst 2016 an den Bundesrat, an das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK), an das Bundesamt für Umwelt (BAFU) und an das Bundesamt für Energie (BFE) gelangten, mit dem Gesuch um a) verschärfte Klimaziele für die Jahre 2020 und 2030 sowie b) verstärkte Massnahmen zur Erreichung der Ziele. Das Begehren stützt sich auf die Schweizerische Bundes-Verfassung sowie auf Art 2 und Art 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), welche unser Leben und unsere Gesundheit schützen.

 

Wieso nur Seniorinnen und keine Senioren?

Die Klimaerwärmung führt zu vermehrten und intensiveren Hitzewellen. Ältere Menschen sind die von zunehmenden Hitzewellen am stärksten betroffene Bevölkerungsgruppe, darunter Frauen nochmals etwas stärker als Männer (Mehr dazu im Faktensheet der KlimaSeniorinnen).  Wir argumentieren dabei als besonders betroffene Bevölkerungsgruppe, dass es ein verfassungs- und menschenrechtlich begründetes Mindestmass an Klimaschutz gibt, an das sich Regierung und Verwaltung halten müssen.

An der ausserordentlichen Generalversammlung der Klimaseniorinnen Schweiz 2017 im Generationenhaus in Bern.
©Greenpeace/Ex-Press/Miriam Künzli


Wie ist die Reaktion der Schweizer Regierung auf eure Beschwerde?

Die Schweiz ignoriert alle Warnsignale und übernimmt keine Verantwortung! Wir wurden bereits an drei Instanzen abgewiesen. Erst am Eidgenössische Department für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK. Sie wiesen unser Gesuch als nicht klageberechtigt ab, weil wir auf die Vermeidung von CO2-Emissionen weltweit plädieren, anstatt in unmittelbarer Umgebung. Das Bundesverwaltungsgericht St. Gallen lehnte unsere Beschwerde ab mit der Begründung, dass es uns KlimaSeniorinnen an der nötigen «besonderen Betroffenheit» fehle, denn es seien alle Menschen von der Klimaerwärmung betroffen. Das stimmt natürlich – mit dem Fokus auf die nachgewiesene besondere Betroffenheit von älteren Frauen vergrössern wir die Erfolgschancen unserer Klage.

Auch unser höchstes nationales Gericht, das Bundesgericht in Lausanne, nahm unseren Fall nicht an. Es argumentierte, eine Überschreitung des 1.5 Grad Zieles sei erst in mittlerer bis fernerer Zukunft zu erwarten und es bestünde somit noch genug Zeit, Massnahmen zu ergreifen. Was schlichtweg falsch ist!

Gerichtlichen Schutz für uns KlimaSeniorinnen sieht das Bundesgericht erst, wenn die Folgen des Klimawandels unabwendbar sind und unumkehrbare Grundrechtsverletzungen vorliegen. Nach dieser Logik würde auch eine Schutzpflicht gegen Erdbeben erst in Kraft treten, wenn das Erdbeben da ist. Der Staat ist allerdings in der Pflicht, das Leben präventiv zu beschützen. Und das tut die Schweiz in Bezug auf das Klima in keinster Weise.

 

Wie geht es nach den Abweisungen aus der Schweiz nun weiter mit der Klimaklage?

2021 haben wir die Schweizer Klimaklage am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg eingereicht. Damit legen wir Beschwerde ein gegen die Schweiz. Sie geht nicht entschieden gegen die Klimaerwärmung vor und schützt somit ältere Frauen zu wenig vor den damit verbundenen Konsequenzen. In der Stellungnahme hält das Schweizer Bundesamt für Justiz stark dagegen und weist jegliche Verantwortung für mehr Klimaschutz von sich. Ein Argument war wieder, dass es bis zu einer Erhöhung von 1.5 Grad noch genug Zeit zum Handeln gäbe. Ein zweites, dass Klima-Massnahmen teuer seien. Wer sich mit dem Klima beschäftigt weiss: Die Zeit läuft uns davon. Und wenn wir nicht handeln, wird genau das uns am teuersten zu stehen kommen.
Das EGMR hat im Oktober die Klage an die Grosse Kammer weitergereicht und am 29. März 2023 wird unser Fall wieder angehört. Der Gerichtshof erhält eine der ersten Gelegenheiten zu prüfen, ob Staaten durch einen unzureichenden Klimaschutz Menschenrechte verletzen.

Einige der KlimaSeniorinnen vor dem Europäischen Gerichtshof in Strassburg.

Einige der KlimaSeniorinnen vor dem Europäischen Gerichtshof in Strassburg.

 

Was würde es bedeuten, wenn der Gerichtshof die Klage annimmt?

Unsere Klage ist überhaupt erst die zweite am EGMR eingereichte Klima-Klage. Für uns ist bereits ein Erfolg, dass sie den Schritt in die Grosse Kammer geschafft hat. Das passiert nur für wenige am EGMR eingereichte Klagen. Das allein hat weltweit für Sichtbarkeit gesorgt und wir sind stolz, dass die Verbindung von Klima und Menschenrecht zunehmend Anerkennung erhält.

Wird die Klage angenommen, bedeutet das für die Schweizer Regierung ihre mangelhaften Klimaziele zu erhöhen, gemäss unseren Forderungen. Stellt der EGMR eine Menschenrechtsverletzung fest, hätte dies nicht nur Auswirkungen auf die Schweiz, sondern auf alle 47 Mitgliedstaaten des Europarates.

 

Euer Einsatz ist bemerkenswert! Gibt es etwas, das ihr unserer Community mitgeben möchtet?

Engagiert euch für die Umwelt! Es braucht uns alle, dringend sogar. Wegschauen, Weghören, Wegträumen, geht nicht mehr. Keine Verharmlosungen, keine Verleugnungen mehr. Was es braucht, ist Aufmerksamkeit und Aktionen, wo immer es Möglichkeiten gibt, auch wenn sie nur klein sind. Eine gute Möglichkeit wäre bereits, ein Zukunftsversprechen abzugeben für die Kampagne mit Clima Now, so wie ein paar aus unserem Vorstand. Damit ziehen wir die nächste Generation mit ein und schaffen Bewusstsein. Sich aktiv einzubringen macht Hoffnung und Freude!