Flavio Hagenbuch: Wir können unsere Gewohnheiten über die Zeit ändern
Flavio ist nicht nur Co-Gründer von Luya, Absolvent des Institute Paul Bocuse und der ETH Zürich - sondern auch Mitglied der Spotlight-Expert*innen Jury 2023. Im Interview mit uns spricht er über die Relevanz alternativer Proteinquellen und wie wir sie freudvoll in unserer Gesellschaft verankern können.
Clima Now • 28.06.2023
Welche besonderen Aufgaben kommen auf die Schweiz zu, wenn sie einen klimapositiven FOODprint erreichen soll?
Wir haben in der Schweiz zwei grosse Probleme:
- Wir konsumieren zu viele tierische Lebensmittel, das hat einen unheimlich grossen Impact auf das Klima, die Biodiversität und die natürlichen Ressourcen.
- Wir sind ein sehr reiches Land und können uns daher leisten, sehr viele Lebensmittel wegzuwerfen.
Beide Probleme sind nicht einfach zu lösen. Eine klimafreundliche Ernährung wird oft als Bedrohung gesehen und Veränderungen wecken Abwehrreaktionen. Bei den tierischen Lebensmitteln ist der Gegenwind durch die Agrarlobby, die an ihrem gängigen Milch- und Fleischmodell festhalten will, stark. Im Zuge einer Swissmilk-Werbung habe ich vor Kurzem gelesen: „Die Schweiz ist ein Grasland“. Und das stimmt wohl, aber nicht für 1.5 Millionen Rinder und Millionen weiterer Nutztiere. In die Schweiz werden pro Jahr ca. 280‘000 Tonnen Soja importiert, und das ist nicht nachhaltig (Monokulturen, Pestizideinsatz, Regenwald). Da wird die Öffentlichkeit in die Irre geführt und das sogar noch subventioniert durch Steuergelder. Wir müssen als Gesellschaft in die Verantwortung gehen. Wir können sehr viel über die einzelnen Entscheidungen der Konsument*innen erreichen.
Was wären deiner Meinung nach denn die dringendsten Punkte, die man als Gesellschaft jetzt angehen kann und muss?
Jeder und jede einzelne kann an den Hebeln ansetzen, die ich eingangs beschrieben habe:
- Allein die Reduktion des Fleisch-, Milch und Käsekonsums schon einen riesigen Impact auf das Klima.
- Weniger wegwerfen. Nur so viel kaufen, wie man verbraucht und verzehrt. Das gilt insbesondere für tierische Produkte.
Wenn du mich vor fünf oder sechs Jahren gefragt hättest, ob ich vegan leben könnte, dann hätte ich gesagt, dass das doch viel zu kompliziert sei. Ich habe aber meinen Konsum über die Zeit schrittweise reduziert und mir geht’s heute nicht schlechter als vor 5 Jahren. Ich habe immer noch gleich viel Freude am Essen und ich habe keine Mangelerscheinungen. Die Veränderung ist möglich, man muss nur den ersten Schritt machen. Und das kann jeder. Das entsprechende Angebot ist ebenfalls da. Man kann sich unglaublich vielfältig mit Gemüse, Hülsenfrüchten und Getreide ernähren, man muss nur eben etwas umdenken.
Ernährung hat viel mit gelernten Mustern zu tun. Kannst du für dieses Umdenken ein Beispiel nennen?
Zum Beispiel beim Smartphone haben wir es gesehen: das haben wir alle gelernt zu bedienen, obwohl wir es vorher nicht kannten – teilweise auch im hohen Alter noch. Oder denken wir an Sushi: Unsere Grosseltern hätten wahrscheinlich gesagt, dass der Verzehr von rohem Fisch sicher zu einer Lebensmittelvergiftung führt. Die Generation unserer Eltern war da bereits aufgeschlossener, aber es ist auch unwahrscheinlich, dass sie Sushi als ihre Henkersmahlzeit wählen würden. Doch in den letzten 20 Jahren ist Sushi immer populärer geworden, selbst an Autobahnraststätten gibt es Sushi für unterwegs und das wird auch verzehrt. Das zeigt, dass wir unsere Gewohnheiten über die Zeit auch ändern können.
Mit Luya bietet ihr alternative Proteinquellen an. Warum sind alternative Proteinquellen so wichtig für die Ernährungswende?
Alle Lebewesen brauchen Proteine, um zu überleben. Auch Tiere brauchen Proteine, die wir in der Massentierhaltung an sie verfüttern. Wenn wir diese erst in Rind-, Schweine- oder Hühnerfleisch umwandeln, bevor wir sie verzehren, dann ist das im Grunde ein unlogischer Prozess. Und dieser Prozess hat extreme Folgen für die Umwelt.
Zudem spielt das Tierwohl in der industriellen Massentierhaltung keine grosse Rolle, genauso wie das Wohl der Arbeiter*innen in dieser Industrie. Der CO2-Fussabdruck von tierischen im Vergleich zu alternativen Proteinen ist ebenfalls immens.
Was braucht es deiner Meinung nach, damit die alternativen Proteinquellen die konservativen Proteinquellen wie Fleisch- und Milchprodukte auch im Supermarktregal ersetzen?
Es braucht die Konsument*innen-entscheidung und -sensibilisierung, beispielsweise bei für neue Gerichte und Zubereitungsweisen. Auch eine Bereitschaft, kulinarische Traditionen zu hinterfragen. Vieles, was wir heute kennen, hat eigentlich keine Tradition. Das Schweizer Käsefondue zum Beispiel: Es wird als traditionelles Schweizer Gericht verkauft, ist aber eigentlich ein Marketing-Coup der Schweizer Käse-Industrie aus den 50er und 60er Jahren. Dieses Gericht wurde regional ab und zu zubereitet und es bot sich an, um Überschusskäse loszuwerden. Es wurde eine sehr gute Kampagne gefahren und wir sehen heute, wo das hingeführt hat.
Wir müssen ebenfalls dort ansetzten. Die Alternativen müssen einfach anwendbar und attraktiv gestaltet sein, damit die Konsument*innen sie leicht in ihren Alltag integrieren können. Zudem muss der Preis gesenkt werden. Wir müssen die Alternativen so günstig wie möglich anbieten, ohne, dass das wiederum negative Auswirkungen auf die Umwelt hat. Wenn man die realen Kosten für Umwelt und Gesundheit in tierische Proteine einpreisen würde und sie nicht subventionieren würde, wäre auch schnell Schluss mit billigen tierischen Proteinen.
Alternative Proteine bilden auch eines der Schwerpunktthemen beim Clima Now Spotlight `23 – Worauf freust du dich am meisten beim Clima Now Spotlight?
Ich bin unglaublich gespannt darauf, wie die junge Generation an die Probleme herangeht. Jemand, der noch nicht jahrelang im Thema steckt, kann ganz neue Impulse und kreative Denkanstösse mitbringen. Ich freue mich auf die Ideen und auch darauf, mich an diesen Ideen zu reiben, sie zu verstehen und zu challengen.
Was ist deine Message an die Clima Now Community?
Es ist wichtig ein offenes Mindset zu kultivieren und sich nicht selbst schon in seinen Ideen zu beschneiden. Ich würde alle Leute auffordern sich zu pushen allen Ideen eine Chance zu geben, auch den noch nicht ganz ausgearbeiteten. Häufig ist es nicht die beste Idee, die sich durchsetzt. Oftmals ist es eine Idee, die in Ordnung ist und von einem grossartigen Team mit viel Herzblut umgesetzt wird. Die beste Idee bringt nichts, wenn keine Menschen hinter ihr stehen und sie umsetzen. Auch wenn du denkst deine Idee ist nicht die beste – versuch sie umzusetzen! Und wenn es nicht funktioniert, ist es auch nicht so schlimm, dann kann man mit der nächsten Idee wieder starten.
Ich bin schwer davon überzeugt, dass die Idee nur ein kleiner Teil vom Erfolg ist. Die Menschen dahinter und ihr Herzblut sind es, dass den Erfolg bringt. Bleibt offen und versucht es einfach!