Anna Peters: Wie können Retailer und Konsument*innen den FOODprint der Schweiz verbessern?

Anna Peters ist Expertin für Nachhaltigkeit und Corporate Social Responsibility und seit 2017 Projektleiterin für Nachhaltigkeit bei Migros. Sie erklärt, wie der Supermarkt und die Kund*innen gemeinsam für eine klimapositivere Zukunft sorgen können - und was dafür noch alles getan werden muss.

Clima Now   •   13.07.2023

Welche besonderen Aufgaben erwarten die Schweiz, wenn es darum geht, ihren FOODprint zu reduzieren?

Die Abstimmung zum CO2-Gesetz weist uns nun den Weg in die richtige Richtung: verbindliche Klimaziele sind der gesellschaftliche Konsens. Das hat die Abstimmung am 18.6.23 gezeigt. Der Landwirtschafts-, der Food- und der Retail-Sektor sind dabei zentral: 70% der weltweiten Co2 Emissionen gehen auf das Konto dieser Branche. Was wir essen und wie wir Lebensmittel produzieren, beeinflusst das Klima. Doch Co2 alleine ist zu kurz geschaut. Der Landwirtschaftssektor hat massiven Einfluss auf die Biodiversität und das Artensterben sowie auf die Verknappung und Verschmutzung von Süsswasservorräten. Kein anderer Sektor hängt so elementar am Funktionieren von Ökosystemleistungen wie Bestäubung, Bodenfruchtbarkeit und Bewässerung. Gleichzeitig machen wir mit den gängigen Landwirtschaftspraktiken und Tierhaltungsformen diese Basis eher kaputt. Die Transformation zu regenerativen Landwirtschaftspraktiken wäre für die Schweiz der Hebel, um Emissionen zu reduzieren und heimische Biodiversität und Ökosysteme zu schützen.

Was wären Ihrer Meinung nach konkrete Punkte, an denen man jetzt bereits ansetzen kann, um den FOODprint der Schweiz klimapositiv zu gestalten?

Wir brauchen alle Systemebenen – Konsument*innen, Unternehmen, Politik.

Konsument*innen:
Jeder und jede von uns trifft jeden Tag Kaufentscheidungen, die einen Unterschied machen können. Die Planetary Health Diet ist ein guter Kompass, wenn es um eine nachhaltige und gesunde Ernährung geht. Ein paar einfache Leitlinien sind: deutlich weniger Fleisch, wenn Fleisch, dann eher weisses. Viele Früchte und Gemüse – möglichst regional und saisonal. Mehr Hülsenfrüchte – das unterschätzte Protein. Und Milchprodukte in überschaubaren Mengen. Allgemein: weniger ist mehr – vor allem auch, um Lebensmittelverschwendung zu vermeiden. Der grösste Anteil Food Waste fällt bei uns zu Hause an. Ökologisch kritische Lebensmittel sind meist solche, die nicht in der Schweiz wachsen: Kaffee, Kakao, Soja, Palmöl. Hier lohnt sich ein kritischer Konsument*innen-Blick: wieviel davon will ich konsumieren? Produkte mit Nachhaltigkeitslabel wie Bio, Fairtrade, Demeter machen Sinn.
Die grossen Retailer haben viel Einfluss auf den Foodprint, ganz klar. Ihre Sortimentsgestaltung ist das, was zählt. Dabei ist ökologisch gewichtiger, wie ein Lebensmittel produziert wurde, als wie es verpackt oder transportiert wurde. Auch Retailer sollten ihr Sortiment viel konsequenter nach den Prinzipien der Planetary Health Diet gestalten. Aktuell sehen wir noch zu viel Fokus auf Fleischprodukte – bei Aktionen wie auch bei Werbung.

Unternehmen: 
Nachhaltige Kaufentscheide sind heute komplexer geworden für Kund*innen: zig Produktvarianten, Labelflut, verpackte neben unverpackten Produkten der gleichen Kategorie etc. Gerade Vollsortimenter müssen klarer kommunizieren, was nachhaltiger Konsum bedeutet und welche Umweltauswirkungen Produkte haben können. Positive Anreize wie der M-Check, mit dem die Migros eine einfache Orientierung zu den Umweltwirkungen eines Produkts liefert, sind ein erster guter Schritt. Da geht sicherlich noch mehr, wie z.B. spielerisch über Gamification oder am Point of Sale über Nudging oder den Ausweis des sog. True cost – wie es zuletzt Albert Heijn in den Niederlanden gemacht hat. Grundsätzlich müssen sich auch Retailer zunehmend selbstkritisch fragen: Muss es immer und ständig von allem alles geben?

Politik: 
Schliesslich: Die Politik ist der grosse Rahmensetzer. Wollen wir systemisch vorwärts machen mit einem geringeren Footprint beim Food, dann braucht es weltweit mehr verbindliche Spielregeln für eine andere Art der Landwirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen.

Was hält speziell die Retailer momentan noch von diesen Änderungen ab?

Transformation ist kein leichtes Thema, vor allem wenn es um das Kerngeschäft geht. Das sehen wir aktuell eindrücklich bei Branchen, die im Umbruch sind, wie zum Beispiel bei der Automobilbranche oder bei der fossilen Industrie. Die Sorge, Konsument*innen zu verlieren, wenn Produkte nicht mehr oder nicht mehr wie gewohnt angeboten werden, ist ein starkes Narrativ, das nun mal eng mit der Handlungslogik von profitorientierten Unternehmen verknüpft ist. Doch ein Retailer – wie zum Beispiel die Migros, die sich wissenschaftlich basierte und validierte Klimaziele gemäss der Science Based Targets Initiative setzt, um ihre Co2 Reduktionen gemäss des 1.5 Grad Zieles entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu reduzieren, der muss sich unweigerlich mit diesen Fragen beschäftigen: wie sieht unser Sortiment aus, wenn wir bis 2050 90% unserer Co2 Emissionen aktiv reduzieren wollen? Welche Produkte können wir in 5, 10, 15 Jahren noch anbieten? Und nochmal: es nicht „nur“ um die Emissionen. Hinzu kommen Fragen wie: wie sieht unser Sortiment aus, wenn die globalen Wasservorräte noch knapper werden? Wenn entwaldete Flächen zunehmen? Wenn die Ozeane übersauern etc. Die Herausforderungen für die Branche sind gross. Mein Eindruck ist, noch sondieren die meisten, welche Änderungen konkret eingeleitet werden müssen. Doch die Branche legt auch los, mit Massnahmen zum besseren Wassermanagement im Anbau, mit Leuchtturmprojekten zu Agroforestry im Ursprung, mit dem Schliessen von Verpackungskreisläufen in den Filialen. Hoffentlich folgt noch mehr in der Breite des Retails und vor allem bald und zeitgerecht.

Was könnte den Konsument*innen helfen, klimafreundlichere Entscheidungen am Point of Sale zu treffen?

Kurz gesagt: mehr Transparenz über Produkte und ihre Herkünfte, mehr einfache Information über die ökologischen und sozialen (Aus-)Wirkungen von Produkten, mehr positive Narrative daüber, was ein gutes und nachhaltiges Leben ausmacht. Dies brauchen wir aber nicht nur am Point of Sale, wo die Aufmerksamkeitsspanne eher gering ist. Der M-Check der Migros versucht, im Laden eine einfache Orientierung über die Umweltleistungen von Produkten zu geben. Erste Ergebnisse zeigen, dass dies einen Effekt auf Kaufentscheidungen hat. Darüber hinaus gibt es weitere Möglichkeiten, das Thema spielerisch zu verpacken. Denkbar sind da auch Lösungen, die App-gestützt sind oder durch KI funktionieren. Zum Beispiel könnte man sich per App seinen Planetary Health Warenkorb zusammenstellen und sich die Herkünfte und Auswirkungen der eingekauften Lebensmittel auf den Planten anzeigen lassen. Eine andere Idee könnten Kochclubs sein, die gemeinschaftlich Planetary Health Cooking betreiben, die Spass machen und das Gefühl von Selbstwirksamkeit bringen. So etwas sollte aber nicht nur durch Retailer getrieben werden. Ernährung und Landwirtschaft im 21. Jahrhundert ist ein so gewichtiges gesellschaftliches Thema, das auch ausserhalb des Supermarktes behandelt werden sollte, in Kindergärten und Schulen, in den Medien, in Universitäts- und Betriebskantinen und im Familien- und Freundeskreis.

Worauf freuen Sie sich besonders beim Clima Now Spotlight?

Ich freue mich besonders auf die Zielgruppe. Ich finde es toll, das die Ideen junger Menschen eine Bühne bekommen und ich Fragen stellen kann: Wie würdest du es besser machen? Was glaubst du, bringt uns Menschen zum Umdenken? Ich bin gespannt darauf, zu lernen, wie diese Altersgruppe die aktuellen Herausforderungen angehen möchte und welche hoffnungsvollen, und vielleicht auch verrückten Ideen am Ende präsentiert werden.

Was ist Ihre Message an die Clima Now Community?

Macht es besser! Ohne eure Ideen und Visionen können wir nichts verändern. Es muss nicht perfekt sein – Ideen haben die Kraft weitergedacht zu werden, auch wenn sie nicht sofort gewinnen.

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